Die Kunstschaffenden als Medium

Ein Gedanke über Durchlässigkeit, Wahrnehmung und Schöpfung

In einer Zeit, in der Kunst oft als Produkt, Stilrichtung oder Marke verstanden wird, lohnt sich ein Blick auf jene leise, aber radikale Idee: dass die Kunstschaffenden selbst das Medium sind. Nicht Leinwand, Farbe, Kamera oder Software – sondern der Mensch, der sie führt.

Diese Vorstellung verschiebt den Fokus vom Werk auf den Zustand des Schaffens. Sie fragt: Was geschieht, wenn die Künstlerin, der Künstler, nicht mehr „macht“, sondern „durchlässt“? Wenn das Werk weniger aus der Intention entsteht, sondern aus der Wahrnehmung, aus einem feinen Lauschen auf das, was entstehen will?

Kunstschaffende als Medium zu begreifen bedeutet, sich als Resonanzkörper zu verstehen – als ein Wesen, das Welt aufnimmt, transformiert und wieder ausgibt. Dieser Prozess ist nicht rein intellektuell oder technisch, sondern existentiell. Er verlangt Hingabe, Mut zur Offenheit, und das Vertrauen, dass aus der Leere etwas Wahres kommen kann.

In vielen künstlerischen Traditionen – ob im Zen, in der europäischen Avantgarde oder in indigenen Schöpfungsritualen – findet sich dieselbe Geste: das Sich-Öffnen für etwas, das größer ist als das eigene Ego. Die Linie, der Ton, die Bewegung wird dann nicht mehr „gesetzt“, sondern „empfangen“.
Das Werk ist in diesem Sinne ein Moment des Übergangs – ein Abdruck dessen, was zwischen Welt und Mensch zirkuliert.

Wenn Kunstschaffende zu Medien werden, verändert sich auch ihr Verhältnis zur Verantwortung. Sie sind nicht mehr allein Urheber:innen, sondern Zeuginnen eines Prozesses. Sie halten die Spannung zwischen Kontrolle und Aufgabe, zwischen Form und Chaos.

Diese Haltung verlangt Bewusstsein – nicht, um zu bestimmen, sondern um Raum zu schaffen. Denn nur in einem wachen Bewusstsein kann sich das Unbewusste zeigen.

Vielleicht ist dies die Aufgabe der Kunst in einer überreizten, algorithmisch sortierten Welt: wieder zum Medium zu werden.
Nicht, um Botschaften zu senden, sondern um wahrzunehmen, was durch uns hindurchfließt – das Unaussprechliche, das Unsichtbare, das Ungeformte.

Können wir Kunst schaffen ohne von der vertikalen Hierarchie einer Bildungs- und Kunstapparats vollständig konsumiert zu werden? Selbstbehauptung, kritische Reflexion der eigenen Interessen und das Erlernen von sinnvollen Techniken und Methoden bereits bestehender Kunsteindrücke wird zum Ausgangspunkt der künstlerischen Praxis. Oft wird uns Kunstschaffenden erst nach der Produktion bewusst welche Einflüsse unsere künstlerische Praxis ermöglicht hat. Oder darf Kunst einfach nur vor uns erscheinen und für sich stehen? Kunst als Machtakt oder Kunst als Werkzeug zum Entdecken des Selbst und das was es bedeutet Mensch zu sein?


Und darin liegt vielleicht die eigentliche Freiheit der Kunst:
nicht zu besitzen, sondern zu empfangen.

Ist das die Freiheit der Kunst?

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